23. Juli 2023
Strahlend
Eigentlich wollte ich heute etwas über Geduld und Zuversicht schreiben, die zwei Dinge, um die ich zurzeit wirklich arg ringe. Der Versuch mich mittels Intellekt aus der Gefühlsaffäre zu retten, indem ich die beiden Tugenden ethymologisch ergründe, in der Hoffnung etwas Erhellendes zu finden, um dann als „cérise sur le gateau“ etwas Schlaues zu schreiben. Nü, dieses leicht arrogante bzw. schwer ignorante Vorhaben scheiterte, den Buddhas sei Dank.
Denn zuerst beschloß mein neues tägliches Tief, das normalerweise so 1-2h lang seinen Auftritt hat, heute als emotionaler Beinahe-Zusammenbruch aufzutreten, so dass nicht nur mein Intellekt völlig unter Wasser stand. Die Energie und Kraft entnahm es wohl aus meinem Atemübungen, die ich seit heute „regelmäßig“ mache.
Da kam so plötzlich so vieles hoch. Tief aus dem Bauch strömte es an die Oberfläche und drohte mich wegzuschwemmen. Diese ohnmächtige Gefühl der Hilflosigkeit und das Gefühl, mich nicht genug um mich gekümmert zu haben, dass ich mich selbst irgendwo, irgendwann im Stich gelassen habe. Ich fühle mich so kraftlos, schwach, zerbrechlich, hilflos. Und unter all den Tränen, die lautlos über mein Gesicht rannen, schimmerte die Wut ganz sanft und vorsichtig durch, unsicher, ob ich es wagen würde sie zu erkennen. Viele meiner Tränen sind ihre Tarnung.
In dieser Not rief ich zwei meiner Freund*innen an, jede/r auf ihre/seine Weise so weise – und sie waren da -präsent- am Telefon und erinnerten mich: „Ich brauche jetzt nichts tun, erstmal wieder zur Freundin in die Wohnung, meine Heimreise werden schon die Freunde regeln, nein, Krankheit ist keine Strafe für Versäumtes…..Alles ist gut – ich brauche nichts zu tun -entspanne und fließe mit dem Nichtstun mit. Geduld.“
Dann wurde es erträglicher und nun versuche ich mich mit der Hilflosigkeit anzufreunden und mich im Vertrauen zu üben, dass sich alles fügt, irgendwie.
Nichtstun.
Doch eines: Ich habe bei meinem LG einen Boxsack bestellt, das bin ich der Wut schuldig, nach so vielen Jahren der Unterdrückung.
Und dann ist da noch Helga. Wir teilen uns das Zimmer in der Isar-Klinik. Heute sind wir uns näher gekommen. Fast berührt. Sie hat auch Schmerzen, doch nur ganz selten kommt kaum hörbar ein ganz leises, fast gehauchtes Stöhnen über ihre Lippen. Es strahlt fast stets ein warmes Lächeln aus ihrem Gesicht. Sie beklagt sich nie, nur manchmal sagt sie, dass der Tag mal wieder lang war – hier in der Klinik. Sie lebt allein und wartet geduldig und gelassen auf die direkt anschließende Reha, die noch in den Sternen wohnt. Ihre Augen blitzen vor Lebensfreude und freundlicher, gelassener Güte. Es ist ihre dritte OP an der Wirbelsäule und die rechte Schulter läßt sie ihren Arm kaum heben. Das lasse sie später machen. Erst mal der Rücken und die Reha. Als ich ihr sage, dass ich ihre so geduldige und lebensfreudeverströmende Ausstrahlung so bewundere, sagt sie: „Jo, mei!“und lächelt mich fast weise an. Dann beginnt sie zu erzählen: 40 Jahre lang hat sie ihren kranken Mann gepflegt. Das war nicht leicht, „aber wir haben immer zusammengehalten, das war das Wichtigste“ , und ihre Augen strahlen noch mehr. Sie erzählt von ihrer großen Familie, Kinder, Enkel. Jetzt lebt sie alleine, doch sie werde oft besucht. Während sie das sagt, schimmert nur ganz leise ein Hauch von Traurigkeit in ihren Augen. Sie erzählt mir von ihrem Freundes-Stammtisch und ihre Augen blitzen und strahlen wieder laut. Den liebt sie sehr. Er war mal größer, aber Krankheit und Tod…. .Ich sage, dass ich sie für so sehr mutig und tapfer halte, wie gelassen sie mit ihren Schmerzen umgehe.
Ja, es ist schon ein Kreuz mit dem Kreuz, sagt sie und lacht. Der Körper wird halt alt. Aber das geht schon. Sie habe viel Geduld und dabei schaut sie fast andächtig aus dem Fenster, etwas betrachtend, das nur sie sieht. Geduld hilft, weil man ja oft nichts anderes machen kann, sagt sie. Nehmen wie es kommt, geduldig abwartend wie alles sich fügt oder sich auch anders fügt. Und während sie dabei lächelt, meine ich, einen kleinen Schalk hinter ihrem Nacken kurz hervor blitzen zu sehen. Das wird schon wieder, sagt sie zu mir, sie sind doch noch jung. Dabei fahren ihre Hände massierend über ihre Oberschenkel. Wahrscheinlich schmerzt es sie dort. Schauen’s, Sie könnten meine Tochter sein. Als ich lachend protestiere, dafür sei sie viel zu jung oder ich zu alt, lacht sie lauthals los….Ich bin 83 , sagt sie und freut sich. Aber zu lange will sie nicht machen. Einer ihrer Söhne spreche immer von 124, aber nein, lacht sie, ihre Mutter sei 95 geworden, das reiche.
Während ich das schreibe, ist es Nacht und ich höre sie im Schlaf sprechen, manchmal stöhnen, manchmal schnaufen.
Morgen früh wird sie wieder lächeln und gelassene Geduld und Lebensfreude ausstrahlen, die irgendwie ein bißchen ansteckend ist. 😉